Baden-Württembergische Einzelmeisterschaften der Damen und Herren in Gerstetten
Julia Kaim und Liang Qiu heißen die neuen Titelträger
Der Frust war groß am Samstagabend, am Ende des ersten Turniertags der Baden-Württembergischen Meisterschaften in Gerstetten. Enttäuschte und irritierte Gesichter allenthalben, bei den Teilnehmern, aber auch bei der Turnierleitung. Auf Grund von diversen organisatorischen Problemen zog sich der erste Wettkampftag enorm in die Länge, so dass die Konkurrenzen unterbrochen werden mussten. Am Sonntag, dem Tag der sportlichen Entscheidungen, hatten sich die Wogen einigermaßen geglättet: Baden-Württembergische Einzelmeister wurden Julia Kaim von Regionalliga-Tabellenführer SSV Schönmünzach und Liang Qiu von der Sportunion Neckarsulm.
Um seinen Job war Bernd Kaltenbach (TTBW Ressort Erwachsenensport) in Gerstetten wahrlich nicht zu beneiden. Zu Beginn wurde der Holzgerlinger mit zahlreichen kurzfristigen Ab- und Ummeldungen konfrontiert, zudem offenbarten sich diverse Probleme mit dem Computer und der Turnier-Software. Was unter anderem eine „händische“ Auslosung erforderlich machte und bereits vor den ersten Ballwechseln zu einer deutlichen Verzögerung führte. „Die Probleme waren vielschichtig, das System konnte beispielsweise die gesetzten Spieler nicht richtig übernehmen, außerdem gelang es uns nicht, die zwei aktiven Rechner im Netzwerk zu verbinden“, sagte der Organisationsleiter, der sich allerdings auch an die eigene Nase fasste. „Ich hätte das Turnier im Vorfeld einmal auf meinem PC simulieren müssen, dazu fehlte mir schlichtweg die Zeit“, sagte Kaltenbach auf Grund des misslungenen „Kaltstarts“ nach dreijähriger Turnierpause. Mit Unterstützung der Schönmünzacherin Ute Walkenhorst, die am Nachmittag ins Turnierleiterteam mit einstieg, entspannte sich die Situation etwas, am Sonntag war mit TTBW-Mitarbeiter Chris Kratzenstein ein weiterer Fachmann vor Ort.
Gegen 21 Uhr – die Damen standen vor der zweiten Runde im Hauptfeld, die Männer vor der ersten - entschied man sich am Samstagabend, das laufende Turnier abzubrechen, um den Spielerinnen und Spielern, die wider Erwarten doch im Turnier waren, die Möglichkeit zu geben, in und um Gerstetten noch eine Übernachtungsmöglichkeit zu finden. Einige Teilnehmer entschieden sich anders, sie blieben dem zweiten Turniertag fern. „Das Turnier hatte heute nicht einmal den Charme einer Kreismeisterschaft“, kritisierte ein Spieler.
Aus sportlicher Sicht und aus Sicht des gastgebenden VfL Gerstetten, der sich wieder einmal mit viel Herzblut um das Wohl der Gäste kümmerte, war die Qualität indes ungebrochen hoch. Zur „Spielerin des Turniers“ avancierte Julia Kaim, die sich mit gleich drei Finalteilnahmen und dabei zwei gewonnenen Titeln die Krone aufsetzte. Nach längerer Abstinenz vom Einzelsport („meine letzten größeren Erfolge sind ja schon ein paar Jahre her“) wollte es die 24-jährige Regionalligaspielerin vom SSV Schönmünzach nun noch einmal wissen. An Position zwei gesetzt, marschierte sie zusammen mit Mitfavoritin Alexandra Schankula (DJK Sportbund Stuttgart) mühelos durch das Turnier, beide gaben bis ins Endspiel nur einen Satz ab. Im Finale war zuerst Alexandra Schankula beim 11:5 obenauf, eine taktische Änderung brachte Julia Kaim dann wieder zurück ins Spiel. „Mein Vater hat mir einige wertvolle Tipps gegeben, sonst hätte ich das Spiel wohl 0:3 verloren“, sagte Julia Kaim hinterher, ohne Details verraten zu wollen. „Wenn ich den dritten Satz gewinne, kann es natürlich anders laufen“, meinte Alexandra Schankula nach dem richtungsweisenden 15:17. Kaim verwandelte im vierten Satz ihren zweiten Matchball (11:9) zum nicht unverdienten Sieg, der ihr die sichere Teilnahme an den Deutschen Meisterschaften im März in Nürnberg bescherte.
Zuvor hatte sich Julia Kaim bereits mit ihrer Vereinskollegin Antonia Bernhard den Titel im Damen-Doppel gesichert. Die eingespielte Formation, die in der Regionalliga nur selten eine Partie verliert, gewann im Halbfinale gegen das Sindelfinger Drittliga-Youngsterdoppel Victoria Merz/Fatme El Haj Ibrahim, das Endspiel wurde gegen Amelie Fischer/Katharina Binder (TTG Süßen) beim 11:7, 11:9, 11:6 recht klar dominiert.
Die dritte Medaille von Julia Kaim glänzte zwar nicht golden, dennoch freute sie sich riesig über den zweiten Platz im Mixed mit Vladimir Anca (SU Neckarsulm). „Ich hatte mir drei Podestplätze zum Ziel gesetzt“, sagte Julia Kaim im Nachgang, „dass ich gleich drei Mal im Finale stand, ist natürlich umso schöner.“ Im Endspiel des gemischten Doppels waren Alexandra Kaufmann und Pekka Pelz (VfL Sindelfingen/TTC Bietigheim-Bissingen) zumeist einen Schritt voraus und gewannen glatt in drei Sätzen.
Bei den Herren hatte man sich im Vorfeld auf zahlreiche, spektakuläre Ballwechsel der Defensivkünstler Florian Bluhm (Sportunion Neckarsulm) und Daniel Kleinert (TTC 95 Odenheim) – vermutlich bis ins Endspiel – eingestellt. Doch es kam anders: Die beiden Topgesetzten mussten genauso wie Julian Mohr (SU Neckarsulm) nach zuweilen hart umkämpften Partien im Viertelfinale die Segel streichen. „Im Prinzip haben heute alle für mich gespielt, nur ich nicht“, haderte Kleinert nach der Fünfsatzniederlage gegen Vladimir Anca, der zudem nach eigenen Angaben konditionelle Probleme offenbarte. Im Halbfinale war somit Angriffs-Tischtennis Trumpf: Liang Qiu (SU Neckarsulm) vereitelte das reine Bietigheimer Finale, in dem er über Pekka Pelz mit 3:2 die Oberhand behielt. Der 19-jährige Jeromy Löffler, zuletzt in bestechender Form und im vergangenen Jahr mit 2263 TTR-Punkten auf persönlichem Höchstwert angelangt, schaffte hingegen mit einem Dreisatzerfolg über Vladimir Anca den Sprung ins Finale. In diesem hatte Löffler durchaus seine Chancen, wie er hinterher attestierte: „Im ersten Satz führte ich mit 7:2 und brachte die Führung nicht durch, im zweiten ließ ich zwei Satzbälle ungenutzt“. So setzte sich Liang Qiu letztendlich doch glatt in drei Sätzen durch. „Ich bin mit meiner Leistung richtig zufrieden, ich habe ein starkes Turnier gespielt“, zog Liang Qiu, der Bruder von Europameister Dang Qiu, zufrieden Bilanz. Jeromy Löffler darf sich auch noch Hoffnungen auf eine DM-Teilnahme machen, vielleicht auch Florian Bluhm, der im vergangenen Jahr als Drittplatzierter in Saarbrücken für die wohl größte DM-Überraschung sorgte. „Der Verband darf neben den beiden Erstplatzierten noch drei weitere Spieler melden, am Ende entscheidet der DTTB über die weiteren DM-Teilnehmer“, sagte Bernd Kaltenbach.
Ein verschossener „Elfmeter“ von Jeromy Löffler sorgte im Halbfinale der Herren-Doppel-Konkurrenz dafür, dass Florian Bluhm/Vladimir Anca noch im Spiel blieben. Danach war der Weg frei für die beiden Neckarsulmer, die in einem sehenswerten Endspiel nach vier Sätzen gegen Sven Happek/Marcel Neumaier (TTSF Hohberg) obenauf waren.
Ungeachtet des Tohuwabohus am ersten Turniertag wurden im Verlauf der Veranstaltung immer wieder Stimmen laut, die sich für eine Rückkehr zum früheren Modus aussprachen. Bis 2019 wurde samstags ein separates Qualifikationsturnier ausgetragen. „Das waren zwei getrennte Turniere und die Gesetzten griffen erst am zweiten Tag ein“, sagte Florian Bluhm. „Es waren eindeutig zu viele Teilnehmer“, hieß es von mancher Seite. „Ich habe an diesem Wochenende vier Doppel, vier Mixed und zwei Einzel bestritten. Da kann man nicht mehr von einer Einzelmeisterschaft reden“, monierte Michael Pfeiffer (TTC 95 Odenheim). Zudem äußerten sich einige der Gesetzten kritisch gegenüber dem wieder eingeführten Mixed-Wettbewerb. Und Alexandra Schankula meinte: „Es ist schade, dass nach dem Wegfall der Ranglisten diese Meisterschaft die einzige Möglichkeit ist, sich für eine DM zu qualifizieren.“ Bernd Kaltenbach wollte sich der sachlichen Kritik nicht verschließen: „Auf Grund der zahlreichen Rückmeldungen werden wir sicherlich im Verband diskutieren, inwieweit hier Anpassungen oder Optimierungen vorgenommen werden könnten.“
Mit neunzehn Schiedsrichtern am Samstag und dreizehn am Sonntag war das Team der Unparteiischen über die zwei langen Turniertage gut beschäftigt. Oberschiedsrichter Lothar Jander sowie die Einsatzleiter Simone Holzberger und Melanie Timke hatten das sportliche Geschehen jederzeit im Griff – und zeigten sich genauso wie die Zuschauer begeistert vom hochklassigen Tischtennissport.
Wie schon bei diversen Turnieren in der Vergangenheit erwies sich der VfL Gerstetten mit einem fünfzehn Mitglieder starken Team als herausragender Gastgeber. „Wir wollen den Tischtennissport in unserem Bezirk Ostalb publik machen und uns natürlich auch als Verein gut präsentieren“, sagte Abteilungsleiter Paul Danzer, dessen VfL sich zudem beim Auf- und Abbau auf die Unterstützung der Kulturinitiative Gerstetten verlassen konnte. „Der Verein schaut öfters bei unseren Spielen zu und hat prompt seine Hilfe angeboten. Eine tolle Sache“, meinte Paul Danzer, der zudem einige Zuschauer aus benachbarten Vereinen auf der Tribüne entdeckte.
BaWü-Einzelmeisterschaften Damen/Herren Einzelergebnisse gesamt
Bericht: Thomas Holzapfel
Fotos: Volker Arnold